Tiefe Inflationsraten in Begleitung von tiefen Zinsen haben hohe Bewertungen von Vermögenswerten begünstigt. Nach rund 40 Jahren hat dieser Trend mit der Covid-Krise den temporären Höhepunkt erreicht. Die strukturellen Treiber tiefer Inflationsraten sind erstmals seit langem einem Gegenwind ausgesetzt. Die Globalisierung, insbesondere die vollständige Auslagerung der Produktion, ist aufgrund geopolitischer Spannungen in Frage gestellt. Abhängigkeiten in der Energieversorgung haben unterschätzte Risiken zum Vorschein gebracht. Der technologische Fortschritt ist weiterhin unaufhaltsam, jedoch zurzeit von Lieferengpässen ausgebremst und nicht schnell genug, um den abrupt verändernden Umständen entgegenzuwirken. Zudem bietet die tiefe Arbeitslosigkeit Arbeitnehmenden eine aussichtsreiche Verhandlungsposition für Lohnerhöhungen.

 

Während die Angebotsseite mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert ist, hat sich die Nachfrageseite, auch dank staatlicher Unterstützung, vollständig erholt und beansprucht die bereits angespannten Lieferketten zusätzlich. Verschiedene Studien haben sich diesem Thema gewidmet und sind zur Erkenntnis gelangt, dass sowohl Angebot wie auch Nachfrage signifikant zur derzeit hohen Inflation beitragen. Im Gegensatz zur Nachfrage, benötigt die Angebotsseite Zeit und Investitionen, um diesen Herausforderungen zu begegnen.

 

Mit aussergewöhnlich hohen Zinsschritten versucht die amerikanische Zentralbank derzeit die Nachfrage einzudämmen und die übrigen Zentralbanken ziehen in unterschiedlichem Ausmass nach. Von Unternehmens-, Konsum- bis hin zu Hypothekarkrediten, eine restriktivere Geldpolitik trifft Konsumenten, Investoren sowie Unternehmen. Beinahe kostenfreies Fremdkapital hat bis vor kurzem Finanzierungen ermöglicht, welche bei höheren Kapitalkosten nicht mehr rentabel bzw. tragbar sind. In Kombination mit höheren Preisen, insbesondere Energiekosten, soll sich dadurch die wirtschaftliche Aktivität abkühlen, bis sich die Lieferketten wieder normalisiert haben und das Angebot mit der Nachfrage schritthalten kann. Mit einer abflachenden Nachfrage soll auch dem angespannten Arbeitsmarkt entgegengewirkt werden. Denn breit abgestützte Lohnerhöhungen im Umfang der derzeitigen Inflation könnten die Inflationsspirale endgültig in Gang setzen.

 

Bereits ersichtlich sind die Konsequenzen höherer Zinsen auf die Bewertung von Vermögenswerten, welche teils signifikant korrigiert hat. Mit Zinsen und somit Kapitalkosten nahe null, bestanden in den letzten Jahren kaum Opportunitätskosten. Entsprechend hat bisweilen eine gute Vermarktung ausgereicht, um eine Unternehmensbewertung in die Höhe zu treiben. Gewinne in der Gegenwart und finanzielle Bewertungskriterien sind dabei in den Hintergrund gerückt. Dieses Jahr hat Investoren eindrücklich daran erinnert, dass es nicht ausreicht einfach gute Unternehmen mit attraktiven Wachstumsaussichten zu kaufen. Die Bewertung ist langfristig ebenso entscheidend für den Erfolg einer Investition. Mit dem Ende des Tiefzinsumfelds, kommt der Bewertung wieder eine bedeutendere Rolle zu. Höhere Zinsen bedeuten höhere Opportunitätskosten und führen zu einer tieferen Bewertung zukünftiger Unternehmensgewinne. Je höher die Bewertung, desto mehr kommt dieser Basiseffekt zum Tragen. Wie schnell sich einzelne Unternehmen von dieser Bewertungskorrektur erholen, steht somit in direktem Zusammenhang dazu, wie hoch die Bewertung ursprünglich war. Des Weiteren kommt erschwerend hinzu, dass das derzeitige Umfeld mit höheren Inputkosten und sich abkühlender Nachfrage Gewinnsteigerungen kurzfristig beeinträchtigen.

 

Bei der Selektion unserer Investitionen kommt der Bewertung eine zentrale Bedeutung zu. Wir investieren ausschliesslich in überdurchschnittliche Qualität, setzen diese jedoch immer ins Verhältnis zur Bewertung. Nur wenn dieses Verhältnis attraktiv ist, tätigen wir eine Investition. Wir sind überzeugt, dass der disziplinierte Fokus auf beide Faktoren langfristig die besten Resultate ermöglicht. Dies gilt sowohl bei Aktien wie bei Anleihen. Aufgrund der höheren Zinsen bieten festverzinsliche Anlagen nach langer Zeit wieder eine attraktivere Ergänzung zu Aktien und ermöglichen es, in wirtschaftlich und geopolitisch unsicheren Zeiten, verlässliche und stabilisierende Erträge zu erwirtschaften.

 

Zürich, Ende September 2022