Rückblick
Rekordtiefe Zinsen gepaart mit hoher Inflation führen zu tief negativen Realzinsen. Um diesen Zustand zu korrigieren, müssen entweder die Zinsen steigen oder die Inflationsraten sinken. Da sich die Inflation als weniger «vorübergehend» herausgestellt hat, als es sich die Zentralbanken erhofft haben, sehen sich diese nun gezwungen die Zinsen spürbar zu erhöhen.
Waren die Bewertungen in den letzten Jahren aufgrund tiefer, teils negativer Zinsen gerechtfertigt, so ist die gegenwärtige Bewertungskorrektur basierend auf stark steigenden Zinsen ebenfalls konsequent. Kapital ist stets auf der Suche nach der attraktivsten Rendite im Verhältnis zu den gegebenen Risiken. Steigen also die Renditen der verlässlichen und stetigen Erträgen von Anleihen, erfordert dies eine Steigerung der Ertragsrenditen von Aktien, um den Risikoaufschlag gegenüber Anleihen konstant zu halten. Dies kann entweder durch eine Steigerung der Erträge oder eine Korrektur der Bewertung erfolgen.
Die derzeitige Herausforderung liegt darin, dass die Zinsen sehr schnell gestiegen sind und die Ertragssteigerungen der Unternehmen damit nicht schritthalten konnten. Hinzu kommt das Problem des Basiseffektes. Aufgrund der tiefen Zinsen sind kleine Zinsanstiege prozentual betrachtet grosse Veränderungen. Dasselbe trifft auf die Unternehmensbewertung zu, je teurer eine Firma bewertet ist, desto höher muss das Ertragswachstum ausfallen, um die gestiegenen Zinsen zu kompensieren und die Risikoprämie gegenüber festverzinslichen Anlagen aufrecht zu halten. Da sich höhere Zinsen gleichzeitig bremsend auf die Wirtschaftsentwicklung auswirken, wird das Ertragswachstum der Firmen tendenziell verlangsamt. Der anhaltende Kostendruck aufgrund angespannter Lieferketten und der aktuelle Arbeitskräftemangel verschärft dieses Problem zusätzlich.
Die Risikoprämie von Aktien ist somit beidseitig unter Druck: höhere Zinsen in Kombination mit voraussichtlich tieferen Erträgen. Besonders stark betroffen von dieser Situation sind Firmen mit anspruchsvollen Bewertungen, welche überproportional wachsen müssen, um die eigene Bewertung zu rechtfertigen. Dies sind genau die Firmen, welche in den letzten Jahren von stetig tiefen Zinsen und positiver Wirtschaftsentwicklung profitiert haben und viel Beachtung der Medien und Trendinvestoren erhalten haben.
Ausblick
Konnte man sich in den vergangenen Jahren darauf verlassen, dass die Zentralbanken einer wirtschaftlichen Abschwächung mit Zinssenkungen entgegentreten, ist die Ausgangslage dieses Mal umgekehrt. Zentralbanken sind aufgrund hoher Inflationsraten gezwungen, die Zinsen zu erhöhen und eine wirtschaftliche Abschwächung in Kauf zu nehmen. Je nach Intensität der Wachstumsverlangsamung, sollten die hohen Inflationsraten sinken und eine Stabilisierung der Zinsen herbeiführen. Es ist nicht auszuschliessen, dass die derzeitigen Investitionen der Firmen zur Beseitigung der Angebotsknappheit, bei abschwächender Wirtschaft gar in einem Angebotsüberschuss und erneut deflationären Tendenzen münden könnten.
Vieles hängt von der weiteren Entwicklung der Inflationsraten und den daraus resultierenden Zinsen ab. Positiv betrachtet erhalten Investoren auf den festverzinslichen Anlagen nach langem Warten wieder eine Rendite, auch wenn diese derzeit mit der Inflation noch nicht schritthalten kann. Bei einer allfälligen Rückkehr zu tieferen Inflationsraten, könnte sich das aktuelle Zinsniveau als attraktive Gelegenheit erweisen. Das Geld auf dem Konto ist hingegen vollständig den hohen Inflationsraten ausgesetzt, es ermöglicht jedoch mindestens temporär, von besseren Kaufgelegenheiten bei Vermögenswerten zu profitieren.
Die anspruchsvolle Ausgangslage erfordert es, bei den Aktien auf bewährte Merkmale zu fokussieren: Eine führende Marktpositionierung sichert die Ertragslage trotz steigenden Kosten. Strukturelle Wachstumsbereiche federn den Zyklus der Wirtschaft etwas ab und eine attraktive Bewertung ermöglicht es allfällige Zinsanstiege besser zu kompensieren. Aktuelle Profiteure wie Rohstofffirmen oder die zu Beginn der Korrektur überbewerteten Wachstumsfirmen entsprechen unseren langfristigen Qualitätsanforderungen nicht. Kurz- bis mittelfristige Marktverwerfungen hingegen sind Bestandteil des Investierens und bieten auf lange Sicht attraktive Gelegenheiten, um von Bewertungsabweichungen zu profitieren.
Zürich, Ende Juni 2022